
Die Bibel kennt Klagelieder, ein ganzes Buch trägt sogar diesen Titel. Freude und Trauer gehören zum Leben, und die Bibel berichtet offen darüber. Anlässe zur Klage gibt es für uns Menschen genug. Doch unser Text ist eine Klage Gottes und es ist nicht die einzige, die uns überliefert wird. Gott kann trauern! Gott war nicht nur als der Schöpfer tätig, der dann Welt und Menschen sich selbst überließ. Er nimmt Anteil am Tun des Menschen, besonders aber an dem seines Volkes, das er sich erwählt hat und das er liebt. Er lässt nichts unversucht, damit der Bund, den er mit ihm schloss, nicht zerbricht.

Zum Textzusammenhang:
Der Prophet Hosea ist ein treffendes Beispiel dafür, welche ungewöhnlichen Methoden sich Gott überlegt, um bei seinem Volk Gehör zu finden. Hosea muss z. B. eine Prostituierte heiraten (Hos 1, 2-3); die Namen der Kinder weisen dann auf das nahende Gericht hin (Hos 1, 4-6). Das Leben des Propheten soll den Israeliten veranschaulichen, in welchem Verhältnis sie zu ihrem Gott leben. Die Reaktion der Leute: Ein Narr ist der Prophet und wahnsinnig der Mann des Geistes (Hos 9, 7b). Der so verachtete Prophet erlebt aber mit, dass Gott seine Gerichtsdrohung wahrmacht: Samaria, die Hauptstadt des Nordreiches, wird 723/722 v. Chr. durch den König von Assyrien erobert. Das ist das Ende des Nordreiches, damit endet auch die Wirksamkeit des Propheten.
Gott zieht Bilanz (V 1-7)
V 1: Gott erinnert sich, was er mit seinem Volk erlebt hat. Dabei beginnt er recht früh in der Geschichte. Gott redet hier als ein Vater, der seinen Sohn (Israel) liebevoll gerufen hat - damals aus Ägypten. Damals hat Israel gehorcht.
V 2: Die Gegenwart aber ist erschreckend. Die Beziehung ist einseitig geworden. Zwar ruft Gott immer noch durch die Propheten, aber die Reaktion des Volkes ist deprimierend: Sie wenden sich davon. Diese Geste spricht sehr deutlich: "Ich will in Ruhe gelassen werden, es ist sinnlos, sich weiter zu bemühen." Sie pflegen statt dessen die Beziehung zu den Göttern ihrer Umwelt, zu Figuren und Bildern, die sichtbar und greifbar sind. Damit haben sie sich ihrer Umgebung völlig angepasst, wirken nicht mehr als Fremdkörper zwischen den Völkern, sind voll akzeptiert und können sogar mit ihrem ehemaligen Feind Ägypten Verträge schließen. Doch dafür bezahlen sie einen hohen Preis: Ihre Beziehung zu Gott ist gestört.
V 3: Ich lehrte Ephraim gehen. Ein schönes Bild, es ist Hilfe zur Selbständigkeit, zum Erschließen der Welt: Wenn es dann gefährlich wird oder Wegstrecken kommen, die nicht allein zu schaffen sind, wenn das Volk müde wird oder gar gefallen ist, dann trägt Gott das Volk sogar auf seinen Armen weiter. Diese väterliche Fürsorge wird von Israel aber gar nicht wahrgenommen. So bleibt Gott nur die Klage darüber, dass Israel die Liebe Gottes, die sich in seiner Geschichte zeigt, einfach nicht bemerkt.
V 4-6: menschliches Joch - ursprünglich der Rahmen, der über zwei Tiere gelegt wird, damit sie den Pflug ziehen können, der mit Seilen angebunden ist. Übertragen ist das Joch das Symbol für Knechtschaft (3. Mose 26,13). Aber Gott beschreibt sein Joch anders: Er machte dem Volk das Leben leicht, die schweren Zugseile wurden bei ihm zu Seilen der Liebe. Er sorgte sogar für Nahrung auf dem Weg durch die Wüste und schuf so die Voraussetzung für einen neuen Anfang nach der Sklaverei in Ägypten (vgl. dazu 2 Mose 5, 9-18) Trotz dieser Erfahrungen sucht Israel Hilfe bei Menschen und Götzen. Weil es die Abhängigkeit von Gott nicht mehr will, gibt Gott sie nun unter die Herrschaft von Menschen - im Augenblick ist das der König von Assyrien.
V 7: Gottes Werben findet kein Echo beim Volk. Gericht und Vernichtung wären eine verständliche Reaktion Gottes auf diesen Treuebruch.
Gott erbarmt sich trotzdem (V 8-11)
V 8-9: Wie schrecklich die Gerichte Gottes sein können, daran erinnern die Namen Adma und Zebojim, zwei Städte, die in der Nähe von Sodom und Gomorra lagen und mit verbrannt wurden (5. Mose 29, 22). Doch die große Überraschung unseres Textes heißt: Gott verhält sich trotz allem zu Israel wie ein Vater zu seinem Sohn. Er straft das Volk zwar, aber er vernichtet es nicht, noch mehr: alle meine Barmherzigkeit ist entbrannt. So grimmig auch sein Zorn entbrennen musste, noch heißer brennt die Liebe zu seinem auserwählten Volk!
V 10-11: Ein Ausblick in die Zukunft: Machtvoll und furchterregend wie ein Löwe wird Gott rufen - und keiner wird sich mehr verweigern können. Zitternd und ehrfürchtig werden sie seinem Ruf folgen. Dieses prophetische Wort hat sich im Laufe der Geschichte Israels immer wieder bestätigt und erfüllt - und wird sich am Ende der Zeiten in Vollkommenheit erfüllen.

Gott klagt über die Untreue und Undankbarkeit seines auserwählten Volkes Israel. Trotz unzähliger Erweise seiner Liebe und Fürsorge zeigt Israel ihm die kalte Schulter.
Gleichzeitig ist unser Text ein ergreifendes Liebeslied Gottes an sein Volk.
Gottes Liebe ist keine billige Ware, die alle Schuld einfach zudecken könnte, sondern sie kann nur im Zusammenhang mit seinem gerechten Zorn verstanden werden.
Nach dem unvermeidlichen und schrecklichen Strafgericht Gottes wird er noch einmal alles daransetzen, sein Volk zu sich zu rufen. Nicht sein Zorn, sondern seine Barmherzigkeit und seine Treue zu seinem einmal gegebenen Bund haben das letzte Wort.
Wie bei vielen prophetischen Worten steht die letzte und umfassende Erfüllung noch aus.

- Welche "Stationen" der Beziehung werden genannt? Wohin geht die Entwicklung?
- Warum verzichtet Gott nicht einfach auf das Gericht, wenn am Ende seine Liebe doch viel größer ist?
- Gott offenbart seine Motive, die sein Handeln bestimmen. Welche Wesenszüge Gottes lassen sich dabei in unserem Text erkennen?
- Welche unserer Wesenszüge erkennen wir im Verhalten Israels wieder?
- Inwieweit haben sich die prophetischen Aussagen von V 10-11 in der Geschichte Israels erfüllt, inwieweit noch nicht?

- Gott bietet dem Menschen Gemeinschaft mit sich an und schafft durch Jesus Christus dazu alle Voraussetzungen. Warum legt er so viel Wert auf die Antwort des Menschen und nimmt dessen Annahme oder Ablehnung so ernst?
- Habt Ihr schon einmal "Gottes Seile der Liebe" in Eurem Leben gespürt?
- Erklärt das alte Wort "Barmherzigkeit" für heutige Menschen.
- Wo befindet ihr Euch auf dem Weg mit Gott? Findet ein Bild dafür?
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